Kirche im Umbruch

 

Kirche ist im Umbruch: sie verliert die Hälfte ihrer Mitglieder, zu Teilen unvermeidbar, zu Teilen hausgemacht. Eintritt, Austritt, Taufen. Das sind die Schlagworte. Ich nehme diese Projektion zum Anlass, ein paar Reformvorschläge einzubringen.

Nur von einer anderen Motivation her – nicht der Verzweiflung wegen. Und nicht deshalb, weil man jetzteinfach was tun muss, damit es hoffentlich anders eintrifft und wir alle uns auf den Hosenboden setzen und die Ärmel hochkrempeln – und (das wäre der einzige eintretende Effekt) in den gemeinschaftlichen Burnout laufen.  Meine Motivationslage ist ein Reformvorwort aus dem 17. Jahrhundert, für mich bis heute das Beste, was zu Reformmotivation geschrieben wurde, unübertroffen.

Philipp Jakob Spener: „Sehen wir in die Heilige Schrift, so haben wir nicht zu zweifeln, dass Gott noch einen besseren Zustand seiner Kirchen hier auf Erden versprochen hat.“ (Pia Desideria von 1675, Einleitung)

Mir gefällt die Blickrichtung. In die Heilige Schrift.

Mir gefällt der emotionale Beiklang – unsere Zweifel sind da, aber sie haben nicht das Hauptwort. Sie werden zum Nebenverb.

Und zu guter Letzt gefällt mir die Zielfotobeschreibung: einen besseren Zustand seiner Kirchen hier auf Erden. Keine Erfolgsmeldungen, keine Kennzahlen, kein tiefgründiges Analysebild, keine Projektion, keine ganz genauen Vorhersagen, aber ein großartiges Hoffnungsbild, das Hand und Fuß hat, Tiefe und Weite zugleich atmet.

Was empfiehlt dann Spener, was noch einmal andere Dimensionen eröffnet, außer Tauffesten, Aufbruch Quartier, Bildungsgesamtprozess, OIKOS und PopKantorat?

 

1. BibelBegegnung

 

Kirche denkt vor und unterstützt mit bei allem, was die Bibel unter die Leute bringt. Vom Bibelabend über das digitale Projekt „Bible Project“ genießt bei uns alles Vorfahrt, was das Buch der Bücher interessant, fesselnd und berührend vermittelt. Die Bibel und ihre unüberbietbaren Trost- und Kraftworte gehören überall hin und immer neu gefördert. Bibelpreis und Jahre mit der Bibel, Bibelkurse und Handreichungen, wie täglich die Bibel gelesen werden kann, gehen bei uns vor, wenn es um Prioritäten der kirchlichen Arbeit geht.

 

2. BasisBeteiligung

 

Die Kirche, das sind wir alle. Da gibt es nicht oben und unten, nicht einen besonderen Stand und Normalvolk. Das Zauberwort dafür hieß immer „Priestertum aller Gläubigen“. Revolutionär! Die Basis hat genau so das Sagen. Die sogenannten „Laien“ sind gleichwertig, sie bilden das Rückgrat der Kirche. Deshalb ist das Wort „Laie“ dann auch so missverständlich. Und deshalb unterstütze ich weiter ausdrücklich die Synodalwahl als „Urwahl“ aller Mitglieder. Wir setzen uns weiterhin dafür ein, dass doppelt so viele Nicht-Theologen-Mitglieder in der Synode sitzen, und dies gerade wo immer möglich auch als Leute der ehrenamtlichen Basis, nicht vorrangig weitere kirchliche Hauptamtliche. Wo immer Gremienarbeit vor Ort unterstützt werden kann, sind wir da. Mit Geldern und Materialien für die Kirchengemeinderatsarbeit. Mit unterstützenden Schulungen und angestellten Personen, die das Ehrenamt stärken, neue Aufbrüche ermöglichen und die Freiheit und Freiwilligkeit der Kirchengemeinde vor Ort und ihrer Gremienmitglieder und Gemeindeglieder achten und schätzen.

 

3. Authentische Praxis

 

Glaube wirkt sich im Alltag aus. Und deshalb setze ich mich für glaubwürdige, gemeindenahe Diakonie ein. Die sichtbare Art, meinen Glauben weiterzugeben, braucht Anbindung an die Basis und wahrhaft evangelisches Profil. Deshalb wird es auch weiter eine spezielle christliche und evangelische Diakonie geben, die mehr macht als satt und sauber und gut beraten. Die betet und ihren Glauben alltäglich überzeugt lebt. Und die aus der Güte und Zuversicht Gottes lebt und nicht aus Struktur-Optimierung und reinen Kleinschrumpfungsprozessen. Aber das überzeugende Christsein drückt sich auch noch an ganz anderen Stellen hilfreich aus. In der öffentlichen Seelsorge zum Beispiel, Notfall-, Klinik-, Kranken-, Gefängnis-Seelsorge und viele weitere Bereiche. Und in einem Christenleben, das Glaube, Liebe, Hoffnung ausstrahlt – und damit zum Zusammenhalt und zur Wahrheit, zur Ehrbarkeit und zur Wertschätzung anderer beiträgt.

 

4. Weiten statt streiten

 

Der Pietismus als Reformbewegung vor Jahrhunderten entstand maßgeblich dort, wo die Rechthaberei mit harten Bandagen um sich schlug und Menschen auf der Strecke blieben, denen der gemeinsame Glaube an den für sie gestorbenen und auferstandenen Jesus Christus konkurrenzlos wichtig war. Und hier setzen wir nach vorne wieder neu an: weniger Randthemen, mehr Christus. Weniger Rechthaberei, mehr Heiliger Geist. Weniger Beschäftigung mit sich selbst, mehr missionarische Aufbrüche und die gemeinsame Suche danach: worauf können und wollen Menschen heute im Leben und Sterben vertrauen? Wer trägt sie? Wie können wir sie mit ihren Fragen und ihrem Suchen erreichen und ihnen die beste Botschaft des Universums verständlich machen: „Jesus liebt mich, ganz gewiss, denn die Bibel sagt mir dies“.

 

5. Ausbildungsreform

 

Die Herausforderungen für die kirchlichen Berufe heute und morgen sind enorm: Wir arbeiten gerne mit an einer neuen Verständigung, was wirklich in Zukunft an Pfarrdienstprofilen gebraucht wird. Neu denken, wie gerade der Gemeindepfarrdienst sich schon verändert hat und sich weiter verändert. Kernaufgaben so identifizieren, dass sie dann auch in der Praxis Vorrang haben. Seelsorge statt überbordende Gremien- und Strukturbeschäftigungen. Theologische Reflexion und Verkündigung statt Detail-Kompetenz in Baufragen. Ev. Bildung durch alle Generationen hindurch und Begleitung von Menschen in Taufe, Konfirmation, Trauung, Jubiläen und Trauer – statt Geschäftsführungsaufgaben in KITAs und Diakoniestationen. Gaben in einer Region miteinander arbeitsteilig einsetzen. In größeren Teams miteinander die Urlaubs-, Kontakt- und Fortbildungszeiten organisieren. Wie genau? Dafür wollen wir mehr auf die Jüngeren hören. Ihre Visionen, ihre Anregungen – aber auch der Gottes-Zuspruch an sie, berufen und gewollt zu sein, leitet uns.

 

6. Predigt trifft Herz

 

Unendlich viele Wege gibt es, um die beste Botschaft, die selbst die Herzen öffnet, so zu den Leuten zu bringen, dass Wort auf Herz trifft. An diesen neuen Formen der Verkündigung, der Gottesdienste und der Kirchenräume arbeiten wir gerne mit. Und stärken die Stärken wie das Interesse an den großen Feiertagen und den neuen großen Tagen wie Einschulung und Erntedank sowie neuen Formen auch von Kasualbegleitung (Popup/Fest/Kasualagentur …).

 

Fazit: Kirche ist im Umbruch. Kein Grund sich auszuruhen, aber auch kein Grund sich in den geistlichen Burnout zu arbeiten, kein Grund zu erstarren oder die derzeitige Situation zu verwischen und zu verschleiern. 

Ganz im Gegenteil: genau hingucken, und auf Gottes Verheißung bauen. Diese Kirche, so unsere Hoffnung, hat ihre besten Jahre noch vor sich. Bis hierher hat sie Gott gebracht – und viel weiter!

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