Leitsatz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
Wir leben unseren Glauben. Der Glaube an Jesus Christus gewinnt Gestalt als Frömmigkeit, die persönliche Haltung, christliche Traditionen und praktische Spiritualität verbindet. Frömmigkeit ist die freie, selbstbewusste Form, Gott in Jesus Christus nachzufolgen und in dieser Welt zu bezeugen. Sie bleibt angewiesen auf Gemeinschaft, auf Rituale und Formen. Sie braucht Zeiten und Räume. In einer säkularer werdenden Gesellschaft wird die Weitergabe des christlichen Glaubens und die Einübung einer evangelischen Frömmigkeit an Bedeutung gewinnen. Die Kirche stärkt alle, die zu ihr gehören wollen, so dass sie ihren Glauben im Alltagsleben umsetzen und bezeugen können. Dazu bedarf es der Kenntnis der kirchlichen Tradition als Quelle geistlichen Lebens. Evangelische Frömmigkeit lebt aus dem Umgang mit der Heiligen Schrift. Daraus erwächst die Fähigkeit, eigene und neue Formen von Spiritualität zu entwickeln. Kirchlicher und diakonischer Bildungsarbeit kommen dabei eine zentrale Bedeutung zu.
Meine Gedanken
1) Gesichtspunkte
Man könnte an so vielen Punkten ansetzen … Und doch – es beginnt bei der Frömmigkeit. Dort anzusetzen, hat im 17. Jahrhundert einer ganzen Bewegung einen „Kosenamen“ gegeben, an dem sie bis heute trägt: „Die Frommen“ – die Pietisten. Nichtsdestotrotz – es ist der zukunftsweisende Ansatz. Denn Relevanz und Überzeugung kommen aus dem gelebten Glauben. Aus dem, der im Alltag praktisch wird. Und alle Reform wächst aus der Erneuerung dieses persönlichen Glaubens.
Dass die Wege dazu vielfältig sind, versteht sich von selbst. Frömmigkeit kann nicht vorschnell eingegrenzt werden auf bestimmte Stile, sondern speist sich aus der Verbindung zu Gott, aus dem persönlichen Vertrauen auf den lebendigen Jesus Christus. Das führt zu einem geradezu organischen Wachstum von Frömmigkeit. Das Innerste schlägt – das Herz – bei Johannes 3,16. Und von da aus kommt dann das Leben in alle Fasern des Körpers – in sehr, sehr unterschiedliche. Haut und Hand, Fuß und Auge. Und das in scheinbar geradezu gegensätzlicher Art. Was dem Fuß hilft, kann echt ins Auge gehen. Und was das Ohr als Hörhilfe dient, kann für die Hand vollkommen nutzlos sein. Und gehört doch genau dort hin und wieder zurück ins Innerste, ins Herz.
Dieser Glaubensvollzug verhilft uns zu einem anderen Blick auf die Kirche: wie sehr ich meine Kirche trotz ihrer offenkundigen Mängel und Fehler liebgewinne, und wie ich sie durch intensive Mitarbeit mit zu erneuern suche. Die „Hoffnung auf bessere Zeiten“ in der Kirche bestimmt dann unser Denken, Reden und Handeln. Dabei steht klar und deutlich der innere Zusammenhang zwischen dem einzelnen Christen und der ganzen Kirche vor Augen. Durch geistlich erneuerte Menschen kann die Kirche verändert werden. Der Frömmigkeits-Weg geht also von innen nach außen: aus der Erneuerung der Herzen erwächst die Erneuerung der Kirche. Fromme Menschen bilden eine Frömmigkeitskirche.
2) Folgerungen
Was aber gibt es dann jetzt zu tun?
a) Wortoffensive
Ev. Frömmigkeit lebt aus dem Umgang mit der Heiligen Schrift. Aller intensive Invest in die Vielfalt der Begegnung mit der Bibel, DEM Buch, lohnt sich. Bibelbezogene Andacht zu Beginn, Zitate in der Öffentlichkeit, Konfirmations- und Taufsprüche, Trauworte und Beerdigungsverse.
Jahreslosungen und tägliches Losungsbuch. Lebensworte, die ganze Zeiten mit uns gehen durch verschiedene Phasen unseres Alltags, in dem wir sie uns innerlich immer wieder zitieren.
b) Vielfalt der Beteiligung
Es reicht nicht aus, dass die evangelische Kirche das allgemeine Priestertum lehrt, sondern es kommt darauf an, dass Christinnen und Christen ihre priesterlichen Funktionen auch wirklich wahrnehmen und ausüben, dass sie also miteinander im Gespräch über die Bibel und den Glauben sind und dass sie füreinander beten.
Hochschätzung des allgemeinen Priestertums lässt viel Platz angesichts von PfarrPlänen und Aufgabenverdichtung für die besondere Stärke des Ehrenamts. Es löst nicht das Hauptamt ab, sondern es findet zu eigenen Alltagsstärken. Es bewältigt Arbeit in der Gemeinde, die sonst nie und nimmer geschultert werden könnte.
Klar – Fallen lauern überall. Ich will nur zwei Beispiele nennen: In einer Gemeinde, in der Christinnen und Christen ihr Amt als Priesterinnen und Priester aneinander und für andere wahrnehmen, in einer solchen Gemeinde werden weder Geburtstagsbesuche noch die Leitung von Seniorenkreisen pfarramtliche Aufgaben sein können. Hier hat sich bei uns in den letzten rund 100 Jahren manches eingeschlichen, was dringend zu hinterfragen ist.
Und auf der anderen Seite kann es auch nicht sein, dass Ehrenamtliche einfach alles übernehmen, was der PfarrPläne wegen und auch so schon allen zu viel ist, zuallererst den Pfarrpersonen. Laien sind nicht die Lückenbüßer für fehlende Kraft im Pfarramt, sondern eigenständig Mitarbeitende, gaben- und funktionsorientiert.
Was nun allerdings das allgemeine Priestertum und damit die leidenschaftliche Mitarbeit angeht, habe ich den Eindruck, dass gut 500 Jahre nach der Reformation bei diesem Thema immer noch ein erheblicher Nachholbedarf besteht. Ich denke, das ist eines der Themen, an denen wir weiter zu arbeiten haben: was es bedeutet, dass es in der Kirche zwar hauptamtliche Pfarrerinnen und Pfarrer gibt, dass es aber viele Aufgaben gibt, die nicht Pfarrerinnen und Pfarrern vorbehalten sind, sondern die Aufgabe aller Christinnen und Christen sind.
Ehrenamtliche haben ihre ganz eigenen Stärken, Und auch mal ihren eigenen Frust zu bewältigen. Sie haben hervorragende Möglichkeiten, ihre ganz eigene Erdung, ihre theologischen Einsichten auf Augenhöhe, ihre eigene Begeisterung. Wenn man sie nur machen lässt. Und fördert. Und liebt. Und wertschätzt. Packen wir es wieder, packen wir es weiter an. Leidenschaftlich.
c) Praktischer Glaube im Alltag
Er gewinnt Gestalt in einer lebendigen Frömmigkeit, die geistliche Praxis und kritische Reflexion verbindet. Evangelische Spiritualität gestaltet sich in der Kirche in großer Vielfalt in Wort und Tat. Eine vielfältige Kirchenmusik gehört ebenso dazu wie eine breite Bildungsarbeit, kommunitäre Lebensformen ebenso wie das evangelische Pfarrhaus, große Events wie der Kirchentag ebenso wie die seelsorgliche Begleitung einzelner Menschen, der Bibelkreis ebenso wie der Verkauf von Fair-Trade-Produkten in der Kirche, der Rückzug in die Stille des Gebetes ebenso wie das gesellschaftspolitische Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung; die Unternehmensdiakonie ebenso wie ehrenamtliche Nachbarschaftshilfe. Wir wollen diesen Reichtum erhalten. Und fragen dennoch gemeinsam, was in Zeiten, in denen alles an Kraft, Geld, Personen … wie in einer Art Herbst der Kirche weniger wird und reift und geerntet wurde, was dann eher bleibt.
Benennen wir das, von dessen Frömmigkeitsstil wir weniger brauchen:
Weniger religiöse, neuheidnische Mythen der Gegenwart: weniger selbstgerechter Vitalismus, also den Kult der Stärke und des Lebens, dessen kulturelle Leitformation der Wettbewerbs-Sport ist. Weniger „Neostoizismus“. Weniger versuchte Selbstkontrolle, weniger Rückzug ins zu Private. Christliche Nächstenliebe und Frömmigkeit ist mehr, ist praktisch auf die ganze Schöpfung bezogen. Und weniger apokalyptische Rettungsversuche der „verzweifelte Hoffnung“. Weniger das Ende der Tage ausrufende Weltverbesserung unter der hart geschwenkten und Schuldgefühle ausrufenden Fahne von „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“. Sonst kommt es anstatt zum dankbaren Dienst an den Geschöpfen Gottes und zum Lob seiner Schöpfung zu einer Bitterkeit des Moralismus. Aus Hoffnung wird verzweifelte Hoffnung. Dagegen setzen wir die guten Werke der Barmherzigkeit, die aus der Barmherzigkeit Gottes kommen. Sie treibt uns an – und so speisen wir Hungrige, besuchen Gefangene, kleiden Bedürftige, nehmen Heimatlose auf, trösten Verzweifelte, verkündigen Armen den inneren Reichtum des Glaubens.
d) Unnötiges Streiten vermeiden
Andere verstehen – andere gewinnen. Das ist der Weg. Vertrauen ist das Kapital der Kirche im Miteinander und im missionarischen Handeln. Wie kann das ganz konkret werden: Testfall ist die Fürbitte. Dazu die Wertschätzung und der ehrliche Umgang mit Feedback (keine Selbstrechtfertigung, aber auch kein unnötiges Provozieren von Shitstorms, stattdessen good practice befördern und erzählen. Menschen gewinnen „mit bescheidener und nachdrücklicher Vorstellung unserer Wahrheit“ – so Philipp Jakob Spener schon 1675. Nicht das unnötige Streiten (wer hat Recht, wer ist Schuld?) ist genug, sondern das herzliche-Liebe-Üben.
e) Reform des Onboarding
Wie Menschen hineinfinden, das braucht eine stärkere Orientierung an der Frage der gelebten Frömmigkeit. So deklinieren wir dann alles Onboarding an verschiedensten Stellen durch: Taufgespräche, Pfarrerausbildung, Konfirmandenzeit, Gewinnen für Kirchengemeinderatsgremien …
f) Starke Verkündigung
Kerngeschäft ist und bleibt für die gelebte Frömmigkeit das hörende Herz und daraus dann der redende Mund. Wir geben einander Anteil im Blick auf solch starkes Hören – und machen diese gehörten Schätze füreinander mehr sichtbar. Einfacher gerade in der digitalen Welt, aber auch der Präsenzort und das gelesene Buch ist und bleibt ein wichtiger Schatz.
Fazit: erzählen wir neu Geschichten davon, wie Frömmigkeit unser Leben bewegt hat und bewegt – indem wir andere Personen schildern und ihre beeindruckenden Einflüsse (nicht der Perfektion, sondern des gelebten Glaubens, der ja in seiner Grundeinstellung ganz schwach und vergebungsbedürftig ist). Und indem wir aus unserem persönlichen Erleben erzählen und weitergeben, was uns persönlich überzeugt hat und motiviert, unser Vertrauen auf Gott stärkt. In einer säkularer werdenden Gesellschaft wird die Weitergabe des christlichen Glaubens und die Einübung einer evangelischen Frömmigkeit an Bedeutung gewinnen.
Gedanken der EKD
Grundlage und Kraftquelle unseres Glaubens ist das Evangelium von Jesus Christus; es verheißt Gottes Heil für die Menschen und die Welt. Christliche Glaubenserfahrung kann so zur Lebenswirklichkeit und Lebenshilfe werden. Sie gründet in der Bibel, orientiert sich am Bekenntnis und schöpft aus dem Reichtum kirchlicher Traditionen. Sie gewinnt Gestalt in einer lebendigen Frömmigkeit, die geistliche Praxis und kritische Reflexion verbindet. Evangelische Spiritualität gestaltet sich in der Kirche in großer Vielfalt in Wort und Tat. Eine vielfältige Kirchenmusik gehört ebenso dazu wie eine breite Bildungsarbeit, kommunitäre Lebensformen ebenso wie das evangelische Pfarrhaus, große Events wie der Kirchentag ebenso wie die seelsorgliche Begleitung einzelner Menschen, der Bibelkreis ebenso wie der Verkauf von Fair-Trade-Produkten in der Kirche, der Rückzug in die Stille des Gebetes ebenso wie das gesellschaftspolitische Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung; die Unternehmensdiakonie ebenso wie ehrenamtliche Nachbarschaftshilfe. Wir wollen diesen Reichtum erhalten.
Unsere Aufgabe als Kirche besteht darin, allen Menschen Gottes Verheißung weiterzusagen. „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle die an ihn glauben nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Joh 3,16). Diese Hoffnungsbotschaft begründet christliche Gemeinschaft. Wir bezeugen dies in einer pluralen Gesellschaft und setzen uns für ein menschliches Miteinander in Staat und Gesellschaft ein.
Es wird wichtiger, unseren Glauben im Tun und Reden öffentlich sichtbar zu bezeugen. Darum wollen wir uns, Christinnen und Christen, gegenseitig vergewissern und befähigen, über unseren Glauben Auskunft zu geben. Das Priestertum aller Getauften prägt unsere evangelische Identität. Als mündige Christinnen und Christen wollen wir unseren Glauben uns gegenseitig dazu ermutigen unseren Glauben einladend zu bezeugen. Wir wollen in unserem Leben der Bindung an Christus, der Verheißung des Geistes und dem Gebot der Nächstenliebe Raum geben. Auf dieser Basis gestalten wir unsere Kirche und beteiligen uns am zivilgesellschaftlichen Dialog.
Wir stärken auf allen Ebenen Orte, an denen geistliche Erneuerung und die Kraft evangelischer Frömmigkeitstraditionen erlebbar werden. Das geschieht dort, wo geistliche Gemeinschaft und Beheimatung gestärkt und persönlicher Glaube vertieft werden.
Nach evangelischem Verständnis ist wissenschaftlich-theologische Reflexion des christlichen Glaubens eine unabdingbare Voraussetzung für das öffentliche Wirken der Kirche. Deswegen setzen wir auf einen engeren Austausch mit der wissenschaftlichen Theologie, auch in ihrer interdisziplinären Verflechtung. Bildung stärkt nach evangelischem Verständnis die Persönlichkeit und befördert Dialogfähigkeit und eigenständiges Urteilen. Zukünftig kommt im Rahmen solchen kirchlichen Bildungshandelns der Weitergabe der christlichen Tradition und der Einübung einer religiösen Praxis eine wachsende Bedeutung zu.